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Die USA, Australien, Kanada – ein Land nach dem anderen hat in dieser Woche angekündigt, keine Politikerinnen und Poliker zu den Winterspielen in China zu schicken. Die Gründe sind vielfältig. Aber die Staatschefs wollen auch wegen der Menschenrechtslage in China lieber nicht feierlich bei der Eröffnungszeremonie auf der Tribüne sitzen.
Stattdessen wollen sie ein Zeichen setzen gegen die chinesische Politik, sei es im Inland oder im Ausland. Ob sich Deutschland diesem politischen Boykott anschließt – das hat die neue Außenministerin und ehemalige Trampolinspringerin Annalena Baerbock noch nicht entschieden. Bei ihrem Antrittsbesuch in Frankreich sagte sie:
"Ich habe selber ein großes Sportlerinnenherz. Aber wir werden sowohl gemeinsam in der neuen Bundesregierung darüber entscheiden, wie wir weiter damit umgehen, und das aber im Einklang mit unseren europäischen Freunden."
Auch Bundeskanzler Olaf Scholz antwortete auf die Frage nach einem Boykott ausweichend. "In einer Welt, die zusammenarbeiten muss, geht es auch darum, dass man die Signale der Zusammenarbeit nutzt“, sagte Scholz unter der Woche.
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Die Sportlerinnen und Sportler sind und wären von so einem Boykott nicht betroffen. Für sie stellen sich aber andere Fragen: Wie sicher sind sie während ihrer Zeit in China? Diese Frage hat Athleten Deutschland aufgeworfen, nach dem Fall der chinesischen Tennisspielerin Peng Shuai. Bei ihr ist trotz zweier Telefonate mit dem IOC immer noch offen, wie frei im Moment leben darf.
All das beschäftigt natürlich auch den Inhaber der Olympischen Spielen, das Internationale Olympische Komitee (IOC). Richard Pound ist das dienstälteste IOC-Mitglied. Der Kanadier hat sogar die kompletten Boykotts 1980 und 1984 in dieser Position miterlebt.
Mr. Pound, bei den Winterspielen werden keine Politiker aus den USA, aus Großbritannien, aus Australien vor Ort sein. Dafür wird Vladimir Putin neben Xi Jinping sitzen und dann kommt IOC-Präsident Thomas Bach. Ist dies das Bild, was das IOC möchte?
Es ist eine komplizierte Situation. Und es hat da eine ganz interessante Entwicklung gegeben, zumindest aus meiner Sicht: Politiker nutzen nicht mehr die Message, die sie 1980 beim Boykott der Spiele von Moskau genutzt haben, nämlich, dass die Sportler die Soldaten in dieser Auseinandersetzung waren. Das hat sich geändert.
Jetzt heißt es: Wir lassen die Sportler außen vor, wir als Politiker müssen mit der politischen Situation rund um China umgehen. Und wir verschonen dabei die Athleten. Die Sportler dürfen also an den Spielen teilnehmen und die Politiker kümmern sich um die politischen Fragen. Und ich denke, das ist ein guter Schritt vorwärts.
Aber: Natürlich ist es schade, dass die Beziehungen in dieser schwierigen Welt teilweise so schlecht sind, dass manche Staaten sagen: Wir sind nicht bereit, an den Spielen teilzunehmen. Aber das ist auch der Beginn eines politischen Dialogs. Denn an einem Punkt müssen viele der Fragen rund um Missbrauch, Handel oder territoriale Ansprüche behandelt werden.
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"Das IOC hat keine Macht"
Aber trotzdem bleibt der Fakt: Das IOC wird Spiele ausrichten in einem Land, in dem die Menschenrechtslage sehr schlecht ist. Wie ist das mit den Olympischen Werten vereinbar?
Nun, es ist eine komplizierte Situation, wie Sie wissen. Denn das IOC hat keine Macht. Kein Mandat. Es hat keine Rolle dabei zu spielen, Politik zu verändern. Was das IOC versucht zu tun, ist, nicht in Fallen hineinzutappen und sich darauf zu konzentrieren, junge Menschen durch Sport zusammenzubringen.
Aber wenn ich Sie da unterbrechen darf. Das hat ja auch Thomas Bach unter der Woche gesagt, dass es eine rein politische Entscheidung gewesen ist und das IOC eine unpolitische Organisation ist. Aber wenn wir uns an 2018 zurückerinnern, da hatte das IOC kein Problem damit, Gespräche zwischen Nord- und Südkorea zu vermitteln, was darin geendet ist, dass es ein gemeinsames Team gegeben hat. Sucht sich das IOC also aus: Wenn es gutes Marketing ist, ist man politisch. Und wenn es – wie jetzt – schlechtes Marketing ist, ist man unpolitisch?
Die Situation in Korea hat sich sehr lange entwickelt, seit dem Ende des 2. Weltkriegs. Es sind Länder, die sich theoretisch noch im Krieg befinden, es gibt nur einen Waffenstillstand, keine Lösung. Und wenn es dann möglich ist, dass Sportler sagen: Vielleicht können wir zeigen, dass es eine Art Versöhnung geben kann und wir machen das durch ein gemeinsames Team, das ist eine Sport-Lösung, mit der alle zufrieden waren.
Es ist weniger ein politisches Manöver, sondern es ist der Gebrauch von Sport, um Menschen zusammenzubringen, und sei es auch nur für die zwei Wochen während der Spiele. Ich denke nicht, dass es das gleiche ist, wenn man sich in eine sehr politische Situation einmischt. Das war Sport, der dazu genutzt wurde, eine bessere Welt zu schaffen in diesem Teil der Erde.
Vergabe an China kein Signal der politischen Unterstützung
Ich denke, dass die Uiguren in Xinjang es auch schätzen würden, wenn das IOC nicht nur in Korea hilft, die Welt besser zu machen, sondern auch in China.
Nun, ich denke, man sollte vernünftig sein, was die Erwartungen an eine relativ kleine Organisation angeht. Wenn wir die Spiele an ein Land vergeben, machen wir das nicht als Zeichen dafür, dass wir die politischen Ziele des Landes unterstützen. Das passiert auf Grundlage davon, wie wichtig das Land als Sportnation ist und ob das Land fähig ist, die Spiele auf dem Level zu organisieren, was die Welt inzwischen erwartet.
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Aber ist das nicht genau das Problem, dass sie sich auf die Meriten im Sport und bei der Organisation konzentrieren und nicht auf die Menschenrechte in diesem Land?
Weil Menschenrechts-Probleme politisch sind. Diese Politik wird durch die Regierung …
Aber Menschenrechte – Entschuldigung, dass ich Sie wieder unterbreche – aber Menschenrechte sind nicht per se politisch. Menschenrechte sind Menschenrechte. Menschenrechte gelten für alle. Es ist keine politische Entscheidung, ob wir Menschenrechte haben oder nicht. Wir haben Menschenrechte. Es wird vielleicht politisch, wenn diese Menschenrechte eingeschränkt werden. Aber die Olympischen Werte basieren darauf. Deshalb nochmal: Wie ist das mit Olympischen Spielen in China vereinbar?
Ich denke, das wurde schon sehr oft beantwortet. China ist aus einem Auswahl-Prozess hervorgegangen, der inzwischen verändert wurde – in dem es nur zwei Kandidaten gegeben hat, nachdem mehrere mögliche europäische Kandidaten zurückgezogen hatten. Und wir hatten dann die Wahl zwischen China und Kasachstan. Und wenn Sie daran erinnern: Es war eine sehr, sehr enge Wahl. Und wenn Sie ein chinesischer Analyst sind, dann würden Sie zu ihrer Führung sagen: Hört mal zu, wir haben ein Problem: Wir haben fast gegen Kasachstan verloren! Wir haben also ein paar Probleme, mit denen wir uns beschäftigen müssen, früher oder später.
"Manche Themen sind nicht verhandelbar"
Und denken Sie, dass die Chinesen dabei einen guten Job gemacht haben?
Bisher nicht. Wie Sie wissen, sind manchen Themen nicht verhandelbar. Das sind interne Sachen. Ende, keine Diskussion. Die Regierungen der Länder, die sich jetzt für einen politischen Boykott entschieden haben, fokussieren sich jetzt darauf, wie man China an den Verhandlungstisch bekommt, um über Lösungen für die Probleme zu diskutieren. Es reicht nicht mehr aus, zu sagen, dass seien interne Themen und die diskutiert man nicht mit Außenstehenden.
Bereuen Sie es rückblickend, die Winterspiele nach China vergeben zu haben?
Nein, weil wir unter den damaligen Umständen den besten Kandidaten ausgesucht haben. Es war enttäuschend, dass so viele europäische Länder ihre Kandidatur zurückgezogen haben. Ich verstehe nicht, wie auch nur ein vernünftiges europäisches Land glauben konnte, dass es 51 Milliarden Dollar kosten würde, die Winterspiele auszurichten. Angeblich hatte Russland so viel ausgegeben. Das ist einfach albern. Und wir waren dann der Erbe dieser Albernheiten. Das ist der Preis der Demokratie. Die Menschen wählen aus unterschiedlichen Gründen und das war das Ergebnis. Also als es darum ging, ein Gastgeberland zu haben, das hervorragende Spiele organisieren kann, gab es an China nichts zu bemängeln.
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Zu wenig Kenntnisse über Menschenrechtsverletzungen
Was wird denn passieren, wenn eine Athletin oder ein Athlet während der Spiele aus dem Olympischen Dorf in den Sozialen Medien postet, dass die Chinesen einen Völkermord an den Uiguren begehen?
Da weiß ich nicht genug über die Fakten. Ich sehe sie in den Medien, aber Sie kennen Ihre eigenen Medien gut genug, um zu wissen, dass das, was manchmal als Fakt behauptet wird, nicht unbedingt stimmt. Ich denke also, dass es hilfreich wäre, wenn es eine Art unabhängiger Überprüfung der Vorgänge gäbe. Vielleicht ist das ein Schritt, den die Chinesen in Betracht ziehen könnten.
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Heißt das, sie bezweifeln, dass die Uiguren dort in Lagern interniert sind und bezweifeln auch die Berichte von Menschenrechtsorganisationen oder Medien wie Buzzfeed oder der New York Times?
Ich zweifel nicht. Ich weiß es einfach nicht. Ich bin immer nervös, wenn ich eine Entscheidung über etwas zu treffen muss, worüber ich nicht genug weiß.
Aber wie kann es sein, dass Sie das nicht wissen? Die entsprechenden Informationen gibt es seit Jahren.
Gibt es die? Wirklich?
Ich habe gerade erwähnt, dass Menschenrechtsorganisationen darüber berichten. Buzzfeed berichtet darüber, die New York Times berichtet darüber. Die haben Satellitenbilder, die haben Augenzeugenberichte, die der Welt erzählt haben, was dort passiert. Und sie wissen nicht, was gerade in Xinjian passiert?
Ich weiß es nicht. Sie können mich für mein Unwissen beschimpfen, wie Sie wollen. Aber ich weiß es nicht.
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Athleten sollen ihre Meinung frei äußern dürfen
Aber nochmal: Wenn eine Athletin oder ein Athlet die Politik Chinas kritisiert, sei es wegen des Völkermords oder wegen Hong Kong, kann sie oder er das während der Spiele tun, ohne Folgen zu befürchten?
Aus der Erfahrung aus Kanada kann ich sagen, dass die Teams verstehen, dass sie in ein anderes Land reisen, in dem andere Gesetze gelten. Sie sollten sich darüber im Klaren sein, dass die Gesetze in China anders sind als in Kanada oder Deutschland und sich entsprechend verhalten. Aber wir haben eine Abmachung mit dem Organisationskomitee, dass die Athletinnen und Athleten sich in Pressekonferenzen etwa frei ausdrücken können.
Das gibt es schriftlich von der chinesischen Regierung, dass die Athletinnen und Athleten sich ohne Folgen durch die chinesische Regierung frei ausdrücken dürfen?
Die Abmachung ist tatsächlich interessant. Die chinesische Regierung hat nur zwei Sachen versprochen. Die eine ist, dass alle Sportlerinnen und Sportler sowie Offizielle ohne Visum nach China einreisen dürfen. Die andere ist eine finanzielle Garantie, was die Kosten betrifft. Alle anderen Abmachungen haben wir mit dem Organisationskomitee, das sich normalerweise um die täglichen Abläufe kümmert. Und dieses Komitee hat uns garantiert, dass für die Athletinnen und Athleten Meinungsfreiheit herrscht. Es gibt Regeln, zum Beispiel die Regel 30, über die wir schon öfter gesprochen haben. Während er Wettkämpfe oder bei Medaillenvergaben wird es keine Proteste geben. Aber ansonsten darf man seine Meinung frei äußern.
Author: Michael Bauer
Last Updated: 1703504521
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