Stellen Sie sich vor, es ist World Economic Forum in Davos und keinen schert's. Nahezu unbemerkt hat vergangene Woche das Treffen der Weltelite – oder wenigstens derjenigen, die von den Organisatoren und Sponsoren dafür gehalten werden – stattgefunden. Doch Verschwörungstheoretiker, vor allem die am rechten Rand, sehen darin gerade den Beweis, dass Staatsoberhäupter und Wirtschaftspromis dort heimlich ihren Griff nach der Weltherrschaft vorbereiten.
Sonst fliegen Teilnehmer alljährlich in Hunderten Privatjets ein und stauen sich in schweren Limousinen zu den Kongresshallen und Hotels. Eilige kommen mit dem Helikopter zum WEF, wie Eingeweihte es nennen. Vor verschneiten Tannen geben sie den versammelten Journalisten Interviews, etwa zu Klimaschutz und grüner Wende. Doch im Jahr zwei der Pandemie fanden sich CEOs, Staatsoberhäupter und Milliardäre statt zu Kamingesprächen in dem Schweizer Alpenörtchen virtuell im blauen Schein der Bildschirme zusammen.
Soziale Ungleichheit, in den Vorjahren immer wieder gerne bei Fingerfood und Rüblitorte diskutiert, war auch 2021 im Zentrum der Diskussion. Der französische Präsident Emmanuel Macron, als ehemaliger Investmentbanker schon zuvor mit der WEF-Crowd vertraut, ließ wissen, der Pandemie sei nur zu entgehen mit einer Wirtschaft, die mehr darüber nachdenke, wie Ungleichheit zu bekämpfen sei. Er beklagte "Profite, die nicht an Innovation oder Arbeit gebunden sind". Auch Kanzlerin Angela Merkel sprach von Ungleichheit, vor allem den Folgen, die die ungleiche Verteilung der Impfstoffe unter den Nationen nach sich ziehen werden. Es werde neue Wunden geben, warnte sie.
Die wahren Helden von 2020
Doch glaubt man Marc Benioff, sind nicht Politiker wie Merkel und Macron die Problemlöser der Welt, sondern Wirtschaftslenker wie er selbst. "CEOs sind die wahren Helden von 2020", behauptete der Gründer des Softwarekonzerns Salesforce beim Video-Davos. Die Konzernlenker hätten ihre finanziellen Ressourcen, die Ressourcen ihrer Unternehmen, ihrer Arbeitnehmer und Fabriken eingebracht und rasch auf die Krise reagiert – nicht für ihren Profit, sondern um die Welt zu retten, sagte der Tech-Entrepreneur, dessen Privatvermögen sich auf knapp neun Milliarden Dollar beläuft.
Benioff gehört zu den Wirtschaftsführern, die sich zum sogenannten stakeholder capitalism bekennen: Unternehmen sollten so geführt werden, dass sie dem Wohl von Kunden, Arbeitnehmern und der Community dienen – Letzteres ein vager Begriff, der mit dem deutschen "Gemeinwohl" wohl zu konkret übersetzt wäre. Es ist eine Abkehr von der Shareholder-Value-Doktrin, die einst von dem US-Ökonomen Milton Friedman in den Siebzigerjahren propagiert wurde. Friedman erklärte, es gebe nur eine einzige soziale Verantwortung für Unternehmen, nämlich dessen Ressourcen zur Steigerung des Gewinns einzusetzen. Wenig überraschend folgten Manager und Investoren über Jahrzehnte willig Friedmans Dogma.
Doch jetzt braucht es eine Umkehr, sagt Klaus Schwab, der bereits 1971 den Vorläufer des heutigen WEF startete. Er rief zum Great Reset, dem großen Neustart, auf. Darunter versteht Schwab eine rasche gemeinsame Anstrengung der Welt, alle Aspekte unserer Gesellschaft und Wirtschaft zu überholen. Von den USA bis China müsse jedes Land und jede Industrie sich dieser Erneuerung unterziehen. Die Covid-19-Krise habe gezeigt, dass unsere alten Systeme nicht mehr zum 21. Jahrhundert passten, erklärte Schwab. Die Welt müsse sich zum Stakeholder-Prinzip bekehren, erläutert der 82-Jährige in seinem neuen Buch.
Author: Kenneth Allen
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